Immer mehr Berlinerinnen und Berliner warten auf Termine bei Hausärzten und Kinderärzten. Trotz hoher Ärztedichte zeigen neue Daten: Die Hauptstadt steuert auf massive Versorgungsprobleme zu. Besonders betroffen sind die Randbezirke im Osten. Drei Faktoren verschärfen die Situation: zu wenig Nachwuchs, viele Ärzte vor dem Ruhestand und regionale Unterschiede bei den Kassensitzen. Maßnahmen wie die Abschaffung von Budgetgrenzen oder staatliche Gesundheitszentren zeigen erste Wirkung, doch zentrale Probleme bleiben ungelöst.
Inhaltsverzeichnis:
- Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg mit besonders hohem Mangel
- Reformversuch mit wenig Wirkung bei Kinderärzten
- KV Berlin und Senat steuern gegen – mit gemischtem Erfolg
- Wirtschaftlicher Druck gefährdet die Versorgung zusätzlich
Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg mit besonders hohem Mangel
2024 musste ein Berliner Hausarzt durchschnittlich 1521 Menschen betreuen – der höchste Wert in ganz Deutschland. In Bayern waren es dagegen nur 1244. Diese Belastung spüren vor allem die Patientinnen und Patienten. Besonders gravierend ist die Lage in Ost-Berliner Bezirken wie Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick und Lichtenberg. Laut Kassenärztlicher Vereinigung (KV) Berlin fehlten dort zu Jahresbeginn 118 Hausärzte mit Kassenzulassung.
Eine Sprecherin der Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) betonte, dass sich der Mangel „verfestigt“ habe. Auch die Vorsitzende des Hausärzteverbandes Berlin und Brandenburg, Sandra Blumenthal, bestätigte: In den Randbezirken herrscht teilweise Unterversorgung. Die Probleme dürften sich auf weitere Stadtteile ausweiten. In Charlottenburg-Wilmersdorf etwa ist zwar auf dem Papier die Versorgung gesichert, doch viele der dortigen Ärzte stehen kurz vor dem Ruhestand – und Nachfolger sind schwer zu finden.
Reformversuch mit wenig Wirkung bei Kinderärzten
Schon 2023 wurden die Budgetgrenzen bei Kinderärzten aufgehoben. Die KV reagierte mit einer Ausschreibung von 21,5 neuen Kassensitzen. Doch bis heute konnten nicht alle besetzt werden. Rund 25 Prozent der Berliner Kinderärzte werden bis 2028 in Rente gehen, warnt Jakob Maske vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Trotz wachsender Zahl an Teilzeitkräften reichen die vorhandenen Ressourcen nicht aus. Zusätzlicher Behandlungsbedarf – etwa bei Adipositas oder psychischen Erkrankungen – erhöht den Druck.
Auch die sogenannte Bedarfsplanung greift oft zu kurz. Ein Urteil des Landessozialgerichts aus dem Jahr 2024 zeigt, dass trotz formaler Überversorgung bei Verhaltenstherapeuten tatsächlich ein Mangel herrscht. Viele gesetzlich Versicherte mussten auf private Angebote ausweichen.
KV Berlin und Senat steuern gegen – mit gemischtem Erfolg
Seit 2021 betreibt die KV eigene Hausarztpraxen in Ostbezirken – vier sind es bisher, ein fünfter Standort ist für 2026 geplant. Zusätzlich werden seit 2023 kleinere Planungsregionen verwendet, um den Bedarf besser zu erfassen. Der Berliner Senat setzt außerdem auf Integrierte Gesundheitszentren. Bisher wurden vier solcher Einrichtungen mit jährlich 400.000 Euro gefördert, darunter in Spandau und Neukölln. Diese bieten medizinische, psychologische und soziale Hilfe unter einem Dach.
Ein weiteres zentrales Problem bleibt ungelöst: der Mangel an Studienplätzen für Humanmedizin. Für 325 Plätze an der Charité gab es im Wintersemester 2024 über 25.000 Bewerbungen. Das bedeutet 78 Bewerber pro Platz. Ärztepräsident Peter Bobbert fordert eine Aufstockung – doch gesetzliche Vorgaben und hohe Kosten stehen dem im Weg.
Wirtschaftlicher Druck gefährdet die Versorgung zusätzlich
Neben dem Nachwuchsmangel und der Überlastung erschwert auch der Immobilienmarkt die Lage. Laut Sandra Blumenthal fehlen viele Praxen das nötige Personal – unter anderem wegen geringer Vergütung. Mietkündigungen aus wirtschaftlichen Gründen – etwa bei substituierenden Ärzten – treffen besonders engagierte Praxen. Der Hausärzteverband fordert daher eine Begrenzung der Gewerbemieten für medizinische Einrichtungen. Das allein wird den Mangel jedoch kaum beseitigen: Viele Ärztinnen und Ärzte vermeiden Standorte fernab ihres Wohnorts – besonders in sozialen Brennpunkten.
Trotz vieler Reformschritte bleibt die ärztliche Versorgung in Berlin ein strukturelles Problem. Es fehlen nicht nur Ärzte, sondern auch systematische Anreize, sich in besonders betroffenen Bezirken niederzulassen. Langfristige Lösungen sind erforderlich – doch bislang mangelt es an Durchsetzungskraft und Ressourcen.
Quelle: Berliner Zeitung